Nr. 303 vom 14.06.2024
Wie Antisemitismus die Demokratie gefährdet - Eine aktuelle Stunde mit Michael Blume im evangelischen Gemeindehaus
"Solange Sie die Hoffnung nicht aufgeben, gebe auch ich nicht auf." Mit eindringlichen Worten, kenntnisreich und auch humorvoll hat in einem rund einstündigen Vortrag und anschließendem Gespräch am Mittwochabend Dr. Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter des Landes, vor rund 80 Gästen in einer aktuellen Stunde im Evangelischen Gemeindehaus in Aalen einen Blick auf die politische Lage geworfen. Eingeladen hatte das Netzwerk für Demokratie im Ostalbkreis, unterstützt von der "Partnerschaft für Demokratie" beim Landkreis.
"Wer liest noch täglich die Zeitung?" Während im vorwiegend älter besetzten Publikum viele Arme streckten, macht Blume in Schulen die gegenteilige Erfahrung. In der Konsequenz lebten verschiedene Gruppen und Generationen in unterschiedlichen Wirklichkeiten, Austausch sei schwieriger geworden, Meinungsverschiedenheiten würden schneller zu echten Konflikten.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die sich z.B. auch als Rassismus, Sexismus oder Antiziganismus äußern könne, werte das Gegenüber immer ab. Einzig beim Antisemitismus werde das Narrativ einer überlegenen Gruppe bedient, die schlau sei, im Hintergrund die Fäden ziehe. Die Ursache sieht Blume in der Geschichte des Judentums als erste Religion der Alphabetisierung, in der Schrifttum und Bildung immer eine zentrale Rolle gespielt habe. Verschwörungstheorien konstruierten im Zweifelsfall auch „heimliche Juden“ wie den Virologen Christian Drosten, mit einem, so Blume, ja nicht sehr jüdischen Vornamen oder gar Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Entsprechend sei es geboten, allen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenzutreten. Wenn sich Zusammenhänge entsolidarisierten und Gruppen sich nur noch gegenseitig befeindeten, dann, meinte Blume," fliegt uns die Demokratie um die Ohren".
Die Frage sei, wen man noch erreichen könne, wie eine gemeinsame Öffentlichkeit noch herzustellen sei und wie man mit Hass und Hetze im Netz umgehen könne. Blume geht selber mit Unterstützung der gemeinnützigen Organisation "Hateaid" wegen ehrverletzender Tweets seit Jahren gegen X, vormals Twitter, gerichtlich vor. Nicht eine Zensur, aber klare Regelungen für die Verantwortung zu Inhalten, die auf Plattformen veröffentlicht werden, seien notwendig für die Konzerne, die damit Geld verdienen. "Bei einem Leserbrief kann ich auch nicht anonym bleiben", stimmte ein Zuhörer im Publikum zu.
Auch mit der Erfindung des Buchdrucks vor 500 Jahre sei der Antisemitismus eskaliert, hatte Blume zuvor schon referiert, das Nazi-Regime habe den Rundfunk intensiv als politisches Medium genutzt, Internet und Social Media stellten eine neue Herausforderung dar.
In diesen schwierigen Zeiten appellierte Blume dafür, die öffentlich-rechtlichen Medien zu schützen und auch selber dafür zu sorgen, Inhalte ins Netz einzubringen und für eine gemeinsame kritische Öffentlichkeit zu arbeiten.
Aus dem Publikum zu seiner Position zum Krieg in Gaza befragt, erklärte Blume, der selber mit einer Muslimin verheiratet und im christlich-muslimischen Dialog aktiv ist, das Existenzrecht Israels sei unabdingbar, es müsse aber gleichzeitig möglich sein, die aktuelle Regierung für ihr Vorgehen zu kritisieren. Nur ein Dialog auf Augenhöhe sei sinnvoll.
Kritische Haltung, Dialog und Engagement sind also wichtiger denn je. Mit der Frage, wie das praktisch im Alltag aussehen kann, schlug Blume am Ende noch einen Bogen zur Klimapolitik: "Wir bezahlen derzeit immer noch Putin, den Iran, Katar - die Welt ist derzeit gespalten in Demokratien, die aus Steuermitteln finanziert werden, und auf der anderen Seite Regimen, die davon leben, dass sie Öl und Gas verkaufen können. Wo können wir fossile Gewaltressourcen einsparen und auf erneuerbare Friedensenergien setzen?" Elektroauto und Photovoltaik als Beitrag zur Demokratie, das war die letzte Pointe eines erkenntnisreichen Abends, für den das Publikum sich mit langem Applaus bedankte.
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