Nr. 176 vom 03.05.2022
Gemeinsame Pressemitteilung des Landratsamts Ostalbkreis und der Kliniken Ostalb: Klinikstrukturprozess geht in die entscheidende Phase
Rund viereinhalb Stunden tagten diesen Montag (2. Mai 2022) der Verwaltungsrat der Kliniken Ostalb und große Teile des Kreistags in nichtöffentlicher Sitzung. Landrat Dr. Joachim Bläse und der Vorstand der Kliniken informierten die Mitglieder des Gremiums umfassend über das vorliegende Gutachten des von Kreis und Kliniken Ostalb beauftragten Institute for Health Care Business GmbH (hcb), welches mögliche Alternativen zur Neustrukturierung der Kliniken aufzeigt. Nachdem nun alle objektiv ermittelten Fakten auf dem Tisch liegen, werden die Kreistagsfraktionen sich beraten, um schließlich in einer Klausursitzung im Juli dieses Jahres zu einer fundierten Entscheidung zu kommen, die in einen Kreistagsbeschluss noch vor der Sommerpause münden soll.
Der Landrat machte in der Sitzung deutlich, dass hoher Handlungsdruck bestehe, er selbst auf Grundlage des Gutachtens für alle Lösungsansätze offen und noch nicht auf eine Variante festgelegt sei. Wichtig sei ihm aber, und dies betonte er mehrfach, dass jegliche Neustrukturierung der Kliniklandschaft unter dem Gesichtspunkt einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung der Kreisbevölkerung insgesamt zu sehen sei. "Wir haben eine Gesamtverantwortung für die Bürgerinnen und Bürger. Ziel muss deshalb ein nachhaltiges Konzept sein, welches das Beste für die Patientinnen und Patienten und den Kreis in sich vereint", macht Bläse deutlich. Deshalb müssten sich alle Lösungsansätze an dem Dreiklang Personalverfügbarkeit, Qualitätsanforderungen/OP-Mindestmengen und Finanzierbarkeit orientieren.
Mit hcb-Geschäftsführer Prof. Dr. Boris Augurzky konnte für den Klinikstrukturprozess einer der renommiertesten Klinikexperten Deutschlands gewonnen werden. So wurde Augurzky erst jüngst von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in eine Regierungskommission berufen, deren Ziel eine Krankenhausreform aus einem Guss sein soll. Aus den Reihen der Klinikbeschäftigten wurde im Rahmen des Strukturprozesses ein Lenkungsausschuss gegründet, der die inzwischen vorliegenden Handlungsvarianten diskutiert und bewertet hat. Das Gremium setzt sich aus 18 Vertretern zusammen, die aus der Ärzteschaft, den Pflegeleitungen, den Standortleitungen und Vertretern aus den Bereichen Qualität, Finanzen, Kommunikation und Bau stammen. Neben Augurzky und den Klinikvorständen kamen in der Sitzung deshalb auch Chefärzte und Personalräte aller drei Klinikstandorte zu Wort.
Warum überhaupt eine Neuausrichtung der Kliniken?
Das Hauptproblem: Der Personalmangel. Bereits jetzt können dauerhaft im Durchschnitt rund 140 Betten der Kliniken Ostalb nicht betrieben werden. Dies machte Personalvorständin Sylvia Pansow deutlich und stellte klar, dass diese Situation sich mit Blick auf die kommenden Jahre absehbar zuspitzen werde. Rund ein Drittel der Pflege-Mitarbeiter geht in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Beim ärztlichen Personal sind es rund 20 Prozent. Die Bemühungen, neues Personal zu gewinnen, laufen bei den Kliniken auf vielen Ebenen auf Hochtouren. Dennoch wird die Schere zwischen Personalbedarf und -nachwuchs in den kommenden Jahren weiter auseinandergehen.
Hinzu kommen neue gesetzliche Anforderungen an die Mindestbesetzung des Personals, die das Problem des Fachkräftemangels an den Kliniken verschärfen. Was aus Sicht von Patienten und Mitarbeitern äußerst wünschenswert ist, stellt die Kliniken vor immer größere Probleme. Durch die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung, kurz PpUGV, dürfen Leistungen nicht mehr unterhalb eines gewissen Personalstamms erbracht werden. Laut dieser Verordnung darf eine Pflegekraft einer normalen Station während des Tages nur für maximal zehn Patienten verantwortlich sein. In der Nacht sind es 20 Patienten. Auf der Intensivstation gilt künftig eine Quote von 1 zu 2 tagsüber und 1 zu 3 in der Nacht.
Eingeführt wurde die PpUGV bereits 2019. Während der Pandemie wurde sie zum Großteil jedoch ausgesetzt, schlichtweg um die Versorgung aufrecht erhalten zu können. Nachdem die Bundesregierung die Quoten wieder in Kraft gesetzt hat, verschärft sich die Personalnot in den Kliniken drastisch.
Was ebenso für Mitarbeitende wünschenswert, für Kliniken jedoch problematisch ist, sind zudem tarifliche Vorgaben. Im Ärztlichen Dienst wurden Festlegungen zu den sogenannten "Diensten" eingeführt. Beispielsweise darf ein Assistenzarzt pro Monat nur noch maximal vier Bereitschaftsdienste ableisten. Sind es mehr, macht sich die Klinik haftbar. Dazu gibt es Vorgaben, wie viele Wochenenden dienstfrei bleiben müssen. Ärzte dürfen pro Monat nur noch 12 Mal im sogenannten Rufbereitschaftsdienst sein. Hinzu kommt, dass manche Dienste nur durch spezielle Fachärzte erbracht werden dürfen, was die Erbringung je nach Fachbereich auf wenige Mitarbeiter reduziert. Dies führt dazu, dass zunehmend mehr Honorarärzte in den Kliniken Ostalb eingesetzt werden müssen.
Klinik-Vorstand Solzbach skizzierte ein weiteres Problem: Strukturvorgaben die vom Bund beschlossen werden. Thema sind Mindestmengen an Operationen, die in einer Klinik durchgeführt werden müssen, um diese überhaupt noch durchführen zu dürfen und bezahlt zu bekommen. Ob beim Gelenkersatz, der Versorgung von Frühgeborenen oder in der allgemeinen Chirurgie: Seit Jahren steigen die Mindestmengen bei bestimmten Eingriffen und Behandlungen. "Wir sind ein gewisses Leistungsspektrum unserer Kliniken im Ostalbkreis gewohnt", so Landrat Dr. Joachim Bläse. "Wenn wir aber an unseren Strukturen nichts ändern und die Mindestmengen weiter steigen, führt dies dazu, dass wir an manchen Standorten gewisse Leistungen nicht mehr erbringen können. Nicht weil wir es nicht wollen, sondern weil wir nicht mehr dürfen", so der Landrat.
Chefärzte aus allen drei Klinikstandorten konkretisierten die Auswirkungen der genannten Vorgaben anhand von Beispielen aus dem Klinikalltag und schilderten die Schwierigkeiten, die sich bei der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs und der Versorgungsqualität ergeben. Auch sie plädierten, genauso wie die Personalräte, für eine zügige und zukunftsfähige Entscheidung durch den Kreistag. Finanzvorstand Thomas Schneider präsentierte den Kreisrätinnen und Kreisräten schließlich, welche finanzielle Folgen all diese, teils neuen, Vorgaben auf die Erlössituation der Kliniken haben.
Das Zukunftskonzept der Kliniken Ostalb
Landrat und Klinikvorstand sind sich einig, dass die zukünftige Klinikstruktur in ein Gesamtkonzept zur medizinischen Versorgung im Ostalbkreis eingebettet sein muss. Auch aus den Reihen des Kreistags gab es dazu in der Sitzung keine grundsätzlichen Gegenstimmen.
Die Gesundheitsstruktur müsse in Teilraumkonferenzen entwickelt werden. Begonnen habe dies bereits mit einer Arbeitsgruppenstruktur zur ärztlichen Versorgung gemeinsam mit den Kreisärzteschaften. Auch die Abdeckung durch die Rettungsdienste müsse in das Gesamtkonzept einfließen. "Die Zeit drängt", betont der Landrat, der alle Akteure, insbesondere Kreispolitik, Klinikmitarbeiter, die niedergelassene Ärzteschaft und die Bevölkerung einbinden will. "Wir müssen gemeinsam die Zukunftsfähigkeit unserer Kliniken sicherstellen. Ein "Weiter so" kann es nicht geben, wir werden sonst in den kommenden Jahren zunehmend Leistungen verlieren."
Ganz entscheidend sei eine gute Kommunikation. "Wir wollen die Entscheidung nicht an unserer Bevölkerung vorbei treffen. Auch nicht ohne die Mitarbeiter in den Kliniken und nicht ohne unsere niedergelassenen Ärzte", so der Landrat. "Wir müssen diskutieren, wir müssen vielleicht auch streiten, aber wir müssen das Ziel einer langfristig zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung immer im Auge behalten", so Bläse.
Oberstes Ziel: Die Notfallversorgung
Bläse betonte, dass in der Konzeption für den Ostalbkreis zwei Kriterien eine wichtige Rolle spielen: Erstens die 15-minütige Erreichbarkeit durch den Rettungsdienst. Zweitens die Erreichbarkeit eines Krankenhauses der Basis- und Grundversorgung innerhalb von 30 Minuten. Im Gegensatz zur 15-Minuten-Frist der Rettungsdienste ist diese 30-Minuten-Frist keine gesetzliche Vorgabe. Sie ist vielmehr eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA), die der Gesetzgeber bei der Krankenhausplanung regelmäßig heranzieht. Der G-BA sieht demnach eine flächendeckende Versorgung in Gefahr, wenn durch Schließung eines Krankenhauses zusätzlich über 5.000 Einwohner mehr als 30 Minuten mit dem PKW fahren müssen, um zum nächstgelegenen geeigneten Krankenhaus zu fahren. „Der Ostalbkreis ist der drittgrößte Flächenlandkreis in Baden-Württemberg. Dieser bundesweite Anspruch gilt für uns deshalb umso mehr“, macht der Landrat deutlich.
Handlungsvarianten werden jetzt von Verwaltungsrat und Kreistag bewertet
Momentan liegen mehrere Handlungsvarianten auf dem Tisch. Dabei zeichnet sich immer mehr ab, dass eine Beibehaltung der drei Klinikstandorte immer unwahrscheinlicher wird. Favorisiert wird momentan vom Lenkungsausschuss der Kliniken Ostalb eine Reduzierung von drei auf zwei Klinikstandorte.
Zur Debatte steht zum einen, die Kliniken in Aalen und Ellwangen in einem Neubau zusammenzuführen. Gleichzeitig würde das Stauferklinikum Schwäbisch Gmünd als Standort weiter betrieben, jedoch mit weniger Betten als bisher und strukturell auf seine neue ergänzende Funktion hin entwickelt. Zum anderen sieht eine zweite Alternative vor, dass die Häuser in Schwäbisch Gmünd und Aalen zu einem großen, neu gebauten Regionalversorgungskrankenhaus zusammengelegt werden. Dabei bliebe die Ellwanger St. Anna-Virngrund-Klinik als Haus der Basis- und Grundversorgung bestehen.
Anregungen aus den Reihen des Kreistags folgend, wird Prof. Augurzky zudem eine dritte, bereits im Gutachten genannte Alternative, nämlich ein Zentralklinikum an einem Standort, noch detaillierter untersuchen.
Zudem müssten für die Zeit bis zur Umsetzung der neuen Klinikstruktur Interimsmaßnahmen für die Übergangszeit erarbeitet und Nachnutzungskonzepte entwickelt werden, erklärte Bläse, woran mit Hochdruck gearbeitet werde.
Dass eine Konzentration der Klinikleistungen nicht ohne Vorbehalte ablaufen wird, ist Landrat und Klinikvorstand klar. Dennoch sei wichtig, die Weichen jetzt schnellstmöglich zu stellen, was auch Prof. Augurzky in der Sitzung auf Nachfrage aus den Reihen des Gremiums unterstrich. Nicht nur, um die Versorgung in kommunaler Trägerschaft langfristig zu erhalten, sondern vor allem, um eine bestmögliche und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung im Ostalbkreis zu sichern.
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