Nr. 604 vom 28.12.2021
Das Landwirtschaftsjahr 2021: Coronajahr mit Überraschungen
Wegen der Corona-Pandemie wird es im Januar 2022 wie schon im letzten Jahr den Kalten Markt in Ellwangen nicht in der traditionellen Form geben. Der Leiter des Geschäftsbereichs Landwirtschaft beim Landratsamt Ostalbkreis, Helmut Hessenauer, hat aber dennoch wie gewohnt einen Rückblick auf das Landwirtschaftsjahr geworfen:
Dass das Jahr 2021 für die Landwirtschaft spannend werden würde, war zum Jahresanfang klar. Schließlich stand 2020 ganz im Zeichen von Corona. Die Auswirkungen auf die Landwirtschaft waren je nach Sektor recht unterschiedlich. Hinzu kam das Auftreten der Afrikanischen Schweinepest in der zweiten Jahreshälfte 2020 in Brandenburg mit weitreichenden Folgen auch für die hiesigen Schweinehalter. Die Hoffnung war dann Anfang 2021 groß, dass 2021 ein Konsolidierungsjahr werden könnte. Schließlich standen Impfstoffe zur Verfügung und auch die landwirtschaftlichen Märkte schienen sich zu beruhigen.
Das Positive zuerst: 2021 war endlich kein Trockenjahr mehr, nachdem die letzten drei Jahre immer wieder von längeren Trockenperioden geprägt waren und Landwirte um ihre Erträge fürchten mussten. Es gab zumindest während der Vegetationszeit fast schon zu viel Niederschläge. Für den hier vorherrschenden Futterbau war dies nur gut. Endlich konnten die Grundfuttervorräte wieder aufgefüllt werden. Allein die Getreideernte enttäuschte, auch weil die Erwartungen hoch waren.
Auch die Erzeugerpreise zeigten mit Ausnahme der Schweinepreise eine erfreuliche Tendenz – mit einer großen Ausnahme. In vielen Teilen der Welt fiel die Getreideernte unterdurchschnittlich aus. Die Getreidepreise sind daher derzeit so hoch wie lange nicht mehr. Auch der Milchmarkt ist stabil. Eine leicht rückläufige Erzeugung trifft auf eine europaweite gute Nachfrage, was die Erzeugerpreise stützt. Die Rindfleischpreise sind im Laufe des Jahres deutlich gestiegen und sind so hoch wie lange nicht mehr. Dies ist umso erstaunlicher, weil aufgrund von Corona eher weniger Rindfleisch vor allem in der Gastronomie verzehrt wird. Im Gegensatz zu anderen Fleischarten kaufen die privaten Haushalte mehr Rindfleisch als vor Corona.
Den Kontrapunkt dazu setzt der Schweinemarkt. Hier hat der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland zu erheblichen Marktverwerfungen geführt, weil Chi-na, ein wichtiger Schweinefleischimporteur, aus Deutschland keine Ware mehr abnimmt. Zwar sah es in der ersten Jahreshälfte so aus, als hätten sich die Warenströme angepasst. Ab dem Sommer fielen die Preise für Schlachtschweine und für Ferkel wieder auf einen historischen Tiefststand. Dies hat auch mit Corona zu tun, denn zeitweise mussten Schlachtungen heruntergefahren werden, weil zu wenig Personal zur Verfügung stand. Schlachtreife Tiere können dann nicht mehr abgenommen werden. Eine auch nur kostendeckende Erzeugung ist seit Monaten nicht mehr möglich; die wirtschaftliche Lage ist auf vielen Betrieben angespannt.
Jenseits dieser Entwicklung auf den überregionalen Märkten ist eine andere Entwicklung zu beobachten. Vielleicht durch Corona angestoßen bieten immer mehr Landwirte ihre Produkte direkt auf ihren Höfen in Verkaufsautomaten an. Hier kann sieben Tage die Woche 24 Stunden lang eingekauft werden. Auch die Nachfrage nach Bioprodukten ist gestiegen. Corona¬bedingte Nachfragerückgänge sind hier nicht zu beobachten. Im Gegenteil: Biobetriebe berichten von einer in Coronazeiten anziehenden Nachfrage vor allem in der Direktvermarktung. Selbst bei den Bioschweinen, die über den Lebensmitteleinzelhandel vermarktet werden, sind die Preise stabil. Das Segment erscheint ausbau-fähig, auch wenn es immer noch recht klein ist.
Alle Sektoren haben in der Landwirtschaft mit stark steigenden Betriebsmittelpreisen zu kämpfen. Dies betrifft vor allem die Düngemittel, Energie, aber auch das Zukaufsfutter. Für die Tierhaltungsbetriebe auf der Ostalb bedeuten hohe Getreidepreise immer auch höhere Futterkosten. Eine Erfahrung musste die Landwirtschaft mit anderen Wirtschafts-bereichen teilen, nämlich, dass wichtige Vorprodukte und Betriebsmittel gar nicht verfügbar sind. Sind es im produzierenden Gewerbe die Halbleiter, ist es in der Landwirt-schaft der für die Produktivität so wichtige Stickstoffdünger. Um diese Dünger herzustellen, braucht es viel Energie. Die exorbitant gestiegenen Gaspreise veranlassten die Düngerhersteller zur Einschränkung der Produktion. Die Folge war eine regelrechte Preisexplosion seit Mitte des Jahres. Teilweise kann aber auch gar kein Stickstoffdünger für die anstehende Düngesaison im nächsten Frühjahr geordert werden. Umso wichtiger ist die effiziente Verwertung des anfallenden Wirtschaftsdüngers aus der Tierhaltung, über den unsere Futterbau- und Veredlungsbetriebe verfügen. Er wird auch überbetrieb-lich ausgebracht und hilft daher auch Betrieben mit wenig oder keiner Tierhaltung. Experten schließen aber nicht aus, dass der fehlende Stickstoffdünger zu Ertragsminderungen in der Ernte 2022 führen kann.
Herausforderungen gab es 2021 auch von der Regulierungsseite. Die im Mai 2020 novellierte Düngeverordnung sah vor, dass die Länder sogenannte rote und gelbe Gebiete ausweisen mussten. In diesen Gebieten gelten dann ab 2021 zusätzliche Düngebeschränkungen. Rote Gebiete sind Gebiete mit erhöhter Nitratbelastung bei einzelnen Messstellen, auch wenn dort kein Trinkwasser gewonnen wird. Im Ostalbkreis wurden fünf solche Gebiete ausgewiesen. Sie sind oft sehr klein. Dennoch belasten die Beschränkungen die Betriebe in Einzelfällen erheblich. Bei den gelben Gebieten handelt es sich um die Einzugsbereiche von Gewässern, die mit Phosphat angereichert sind. Sie sind großflächiger; es gelten dort aber weniger zusätzliche Vorgaben.
Beim Pflanzenschutz ist das Mitte 2020 vom Land Baden-Württemberg verabschiedete Biodiversitätsstärkungsgesetz in der Umsetzung. So ist der Pflanzenschutz auf Ackerflächen in Naturschutzgebieten ab 2022 verboten. Im Ostalbkreis gibt es 42 Naturschutz-gebiete, in denen rund 165 ha Ackerflächen liegen. Auf ihnen dürfen künftig keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Nur Betriebe, die sehr viele Flächen dort haben und bei denen unzumutbare Härten auftreten, können Ausnahmen erhalten, die sich aber immer an den naturschutzfachlichen Zielen orientieren. Für den Pflanzenschutz in anderen Schutzgebieten, wie den Landschaftsschutzgebieten und den NATURA 2000-Gebieten, gelten zusätzliche Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes. Hiervon sind weit mehr Betriebe betroffen.
Im Biodiversitätsstärkungsgesetz ist festgelegt, dass der Anteil der ökologischen Land-wirtschaft auf 30 bis 40 Prozent bis zum Jahr 2030 steigen soll. Auch die Menge chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel soll im gleichen Zeitraum um 40 bis 50 Prozent reduziert werden. Damit diese Ziele erreicht werden, bedarf es Anreize über Förderprogramme, aber auch Beratung und Unterstützung der Betriebe.
Im ökologischen Landbau ist es nicht damit getan, dass viele Betriebe umstellen und ökologisch wirtschaften. Parallel dazu muss auch die Nachfrage nach ökologisch, möglichst in der Region erzeugten Produkten steigen. Es braucht also Impulse entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Der Ostalbkreis hat sich daher bereits 2020 zusammen mit dem Rems-Murr-Kreis als Biomusterregion beworben und auch den Zuschlag erhalten. Biomusterregionen erhalten eine Förderung für ein Regionalmanagement, das dann Projekte in der Region initiiert und umsetzt. Es geht dabei um die Förderung des Öko-landbaues und um eine höhere Wertschöpfung in der Region. Mittlerweile hat das Regionalmanagement seine Arbeit aufgenommen und erste Projekte befinden sich in der Umsetzung. Die beiden Landkreise ergänzen sich in ihrem Produktportfolio und vereinen die Nähe zum Ballungsraum zu dem mehr ländlich geprägtem Raum hier auf der Ostalb. Die Chancen für Synergieeffekte stehen daher gut.
Das Biodiversitätsstärkungsgesetz wendet sich jedoch nicht nur an Landwirte. Es enthält auch Vorgaben, um die Lichtverschmutzung zu minimieren und verbietet Schottergärten auf Privatgrundstücken. Streuobstbestände werden geschützt und auch landwirtschaftlich Flächen sollen erhalten bleiben.
Regulierungen und Produktionsvorgaben gibt es jedoch nicht nur vom Gesetzgeber. Auch der Handel nimmt gesellschaftliche Strömungen auf und setzt sie in Vorgaben um. So kündigten einige Lebensmitteleinzelhändler an, künftig nur noch Fleisch aus tiergerechteren Haltungsformen zu verkaufen, die deutlich über dem gesetzlichen Standard liegen. Um diese Vorgaben einzuhalten, müssen Ställe umgebaut werden. Dies ist aber nicht immer möglich, so dass in den seitherigen Ställen erzeugte Tiere wahrscheinlich nur noch mit deutlichen Abschlägen verkauft werden können. Die gesamte Tierhaltung steht daher vor einem Transformationsprozess, der mit immensen Investitionen verbunden ist. Weil dies so ist und alle Beteiligten von der Notwendigkeit dieses Prozesses überzeugt sind, hat ein vom Bundeslandwirtschaftsministerium eingesetztes Gremium - die sogenannte Borchert-Kommission - Finanzierungsvorschläge für diese Transformation gemacht. Eine politische Entscheidung darüber steht noch aus.
Insgesamt herrscht vor allem in der Schweinerzeugung eine großes Maß an Verunsicherung. Mit Abstrichen gilt dies auch für die Milchviehhaltung. Hier steht die Anbindehaltung in der Kritik. Sie findet ausschließlich in kleinen Betrieben statt. Leider führt kein Weg daran vorbei, dass zusätzliche Regulierungen, unabhängig von welcher Seite sie kommen, kleine Betriebe zur Aufgabe der Tierhaltung zwingen – trotz Beteuerungen, dass diese Betriebe erhalten werden sollen.
Ähnliche Ambivalenzen gibt es auch bei einem anderen Thema: dem Flächenverbrauch. Auch hier gab und gibt es Ziele, den Verbrauch an landwirtschaftlichen Flächen zu minimieren. Die Realität sieht jedoch anders aus. Der Bedarf an Wohnraum ist groß und auch der in weiten Teilen der Industrie anstehende Transformationsprozess erfordert neue Gewerbeflächen. Hinzu kommt der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren Energien in Form von Photovoltaik und Windenergieanlagen. Dadurch werden der Landwirt-schaft Flächen entzogen, die sie dringend braucht. Es gibt keine einfachen Lösungen, aber Ansatzpunkte sind verdichtetes Bauen, Vorrang der Innenentwicklung, Nutzung von Gewerbebrachen und Doppelnutzungen wie bei der Agriphotovoltaik.
Die Herausforderungen an die Landwirtschaft sind im Jahr 2021 nicht kleiner geworden. Es kommt darauf an, wie damit umgegangen wird. Jeder Wandel bietet auch Chancen. Viele Landwirte erkennen dies und gestalten diesen Prozess auf ihren Betrieben. Sie gewährleisten dadurch, dass die Landwirtschaft zukünftig ihren originären Aufgaben, nämlich eine sichere, nachhaltige Erzeugung von Lebensmitteln bei gleichzeitiger Erhaltung und Pflege der Kulturlandschaft, wie schon in der Vergangenheit nachkommt. Strukturbrüche werden aber nicht ausbleiben.
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