Nr. 301 vom 13.07.2021
Rechtsstaatlichkeit bedeutet zuhören und aushalten
In einer hybrid durchgeführten Veranstaltung des EUROPoint Ostalb ging es kürzlich um das Thema "Grundwert Rechtsstaatlichkeit – Quo Vadis". Der Präsident des Landgerichts Ellwangen, Dr. Andreas Holzwarth, sowie Prof. Dr. Jan Bergmann, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und Honorarprofessor für Europarecht an der Universität Stuttgart, setzten dabei wichtige Impulse für die Diskussion. Live aus Straßburg zugeschaltet war der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland MdEP.
Landrat Dr. Bläse führte in seiner Begrüßung aus, dass sich die Mitgliedsländer der Europäischen Union auf gemeinsame Werte stützen, zu denen Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit sei von wesentlicher Bedeutung, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen in den Staat zu wahren.
In seinem Impulsvortrag "Der deutsche Rechtsstaat – Inhalt und Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger" zeigte Dr. Andreas Holzwarth die Elemente eines modernen Rechtsstaats auf, der von den Bürgern getragen und auch verteidigt werden müsse. Es könne nicht hingenommen werden, dass einzelne EU-Staaten sich nicht zur Rechtsstaatlichkeit bekennen. Holzwarth sprach sich klar dafür aus, dass Grundrechtsbeschränkungen nicht von Dauer sein dürfen und Freiheitsrechte immer Vorrang hätten. Auch müssten Gesetze verständlich gefasst sein. Es dürfe zudem nicht der Eindruck entstehen, dass das Recht nur für denjenigen gelte, der sich am besten durchsetzen könne. Wichtig sei auch, dass der Staat vor Radikalität nicht kapitulieren dürfe und daher über ausreichend Sachmittel zur Durchsetzung des Gewaltmonopols verfügen müsse. Eine funktionierende Justiz setze darüber hinaus die öffentliche Akzeptanz voraus. Die Bedeutung der Gerichte dürfe daher nicht relativiert werden. Die Sicherung der eigenen Freiheit fasste er als die wichtigste Aufgabe des Rechts zusammen.
"Die Bewahrung der EU-Grundwerte und des Rechtsstaats in den Vereinigten Staaten von Europa" lautete der Titel des Impulsvortrags von Prof. Dr. Jan Bergmann, welchen er mit Hilfe von 10 Thesen näher erläuterte. Vieles, was in Europa gerade geschehe, sei besorgniserregend. Er spannte dabei den Bogen von Ungarn, Polen und Katalonien über den Brexit und gesamteuropäische Schulden bis zur aktuellen Flüchtlingspolitik.
Der seit 1. Januar 2021 geltende Rechtsstaatsmechanismus sei von Ungarn und Polen bis zur Unkenntlichkeit verhandelt worden. Ferner würden auch die Leitlinien zur Anwendung des Mechanismus noch fehlen. Es sei zu befürchten, dass noch Jahre vergehen, bevor hier konkret etwas passiere. Er plädierte dafür, dass stärkerer politischer Druck von außen auf Ungarn und Polen notwendig sei, wo fast schon eine „Gleichschaltung“ der Judikative stattfinde. Populisten gelte es, mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sehen müsse man aber auch, dass die Freizügigkeit zu großen Problemen in diesen Ländern geführt habe, z. B. durch die Abwanderung von Ärzten und Krankenschwestern in den Westen. Lösungsansätze sah Bergmann in einer europaweiten Grundsicherung oder Mindestlohn. Mit dem Kurzarbeitergeld SURE seien hier erste Schritte gemacht worden. Die Frage sei dann, ob auch ein EU-Finanzausgleich notwendig wäre, um dies zu finanzieren.
Der aus Straßburg live zugeschaltete Rainer Wieland MdEP warnte davor, nur auf Polen und Ungarn zu schauen, sondern sich auch selbst den Spiegel vorzuhalten. Gegen Deutschland würden 80 Vertragsverletzungsverfahren laufen. Und in Malta sei die Regierung eher Teil des Problems bei der Aufklärung der Journalistenmorde. Mit dem Rechtsstaatsmechanismus sei jetzt ein Anfang gemacht, dessen Umsetzung eben noch etwas Zeit brauche.
Die anschließende Publikumsdiskussion wurde von Katja Vonhoff, TEAM EUROPE Rednerpool der Europäischen Kommission, moderiert. Über den Chat trafen zahlreiche Fragen aus dem Online-Publikum ein. Dabei ging es um Ahndungsmöglichkeiten in Verbindung mit der Auszahlung von EU-Geldern bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit, um die gewünschte Steigerung des Tempos in Europa bei Maßnahmen gegen Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit wie auch um die Frage, ob ein Initiativrecht des EU-Parlaments die EU stärken würde.
Abschließend betonte der Landgerichtspräsident, dass Rechtsstaatlichkeit eine nie endende Diskussion sei. Rechtsstaatlichkeit bedeute zuhören und auch aushalten.
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